»Seymour«
Schauspiel von Anne Lepper | Regie: Jannik Graf
Fünf dicke Kinder befinden sich in einem Abnehmcamp in den Bergen. Sie sollen unbedingt wieder zu »richtigen«, das heißt wohlproportionierten Menschen gemacht werden. So wie Vorbild Sebastian, der ist wunderbar dünn und passt überhaupt hervorragend in diese durch und durch optimierte Welt; nur leider ist der schon tot. Mithilfe strenger Regeln versuchen diese fünf Ausgestoßenen abzunehmen, lebens- und gesellschaftsfähig zu werden, um im Draußen bestehen zu können. Sie alle hoffen auf einen positiven Bescheid nach erfolgreicher »Kur« und die mögliche Entlassung, doch die entscheidende Instanz – Doktor Bärfuss – lässt auf sich warten. Gibt es womöglich gar kein Entrinnen aus dem Märtyrium, ist man womöglich längst im heimischen Kinderzimmer auf Dauer ersetzt durch einen schlanken Cousin Seymour?
Anne Lepper entwirft in diesem Text eine fiese Dystopie, macht eine Bestandsaufnahme aktueller gesellschaftlicher Normen und Ideale und konfrontiert uns mit der Oberflächlichkeit unseres Seins. Dabei ist ihr Ton im 2011 uraufgeführten Stück bestechend und entwaffnend ehrlich. Bei der Kritikerumfrage des Fachmagazins »Theater heute« wurde Anne Lepper zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres 2012 gewählt. Für ihr Stück »Mädchen in Not« erhielt sie 2017 den hoch dotierten Mülheimer Dramatikerpreis.
Regisseur Jannik Graf interpretiert »Seymour« als das Nicht-Kurieren-Wollen, Entfremden und Verdrängen (von deutscher Geschichte, NS-Zeit und Schuld) mithilfe der universalen und sehnsüchtigen Realitätsverschiebung und -verduselung durch Film und Fernsehen. Das Kreisen der fünf Figuren um sich selbst wurde von Ausstatterin Constanze Müller bühnentechnisch in eine panoptische Arena-Situation mit Stahlrahmen übersetzt. Dort blickt das Publikum auf die fünf »Inhaftierten« herunter und so wird »die Macht automatisiert und entindividualisiert. Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als in vielmehr in einer konzentrierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken; in einer Apparatur, deren inneren Mechanismen das Verhältnis herstellen, in welchem die Individuen gefangen sind«. Wer hat eigentlich das Sagen? Was ist richtig oder falsch? Gut oder Böse? Die Musik von Margarethe Zucker füllt diesen Raum, diese Zelle mit Soundcollagen, bestehend aus Audioschnipseln von Spielfilmen hin zu Originaltönen der Nürnberger Prozesse.
Premiere: 03.12.2022.
Text Anne Lepper
Inszenierung Jannik Graf
Bühne & Kostüm Constanze Müller
Musik Margarethe Zucker
Licht Kai Pflüger
Dramaturgie Natalie Broschat
Regie-Assistenz Dominique Dietel
Aufführungsrechte Schaefersphilippen Theater und Medien GbR, Köln
Es spielen Emma Lotta Wegner, Maurizio Micksch, Stefanie Schwab, Vincent Furrer und Rasmus Friedrich
www.theater-ulm.de
Dagmar Hub, 5. Dezember 2022
Evangelischer Pressedienst,
Achim Schmid, 7. Dezember 2022